Inspiriert die ebenso aristokratische wie
dekadent-morbide Atmosphäre des Meis-
tersaals also zwangsläufig eine originelle
Klangästhetik, die elektronisch-dunkel
geprägt ist? Trotz der gewichtigen Bei-
spiele wäre das wohl zu einfach, denn
auch Liedermacher wie Udo Jürgens,
Reinhard Mey und Klaus Hoffmann
oder sogar Schlagersänger (Roland Kai-
ser, Mireille Mathieu etc.) nahmen und
nehmen in den Hansa Studios auf.
Um zu den Fakten zurückzukehren:
Welche akustischen Voraussetzungen
erfüllen eigentlich die Räume? „Wie
alle großen Studios haben wir ,Raum im
Raum‘-Konstruktionen, das heißt, Hansa
1 ist von den Nachbarstudios akustisch
entkoppelt, damit sich keine Vibratio-
nen übertragen“, erklärt Toningenieur
Alex Morcöl. Um den Aufnahmeraum
akustisch zu optimieren, wurde darauf
geachtet, parallele Wände zu vermeiden,
etwa durch schiefe Decken, so dass sich
störende Raummoden so wenig wie mög-
lich entwickeln. Zudem wurde viel Holz
verbaut, das absorbierende Eigenschaften
hat, also Schallenergie teilweise aufnimmt
und so störende Reflexionen verhindert.
Führungen durch die Hansa Studios
(Anmeldung erforderl.): Tel.: 030/30 87 56 33
oder musictours-berlin.de
Hansa Studios
N
ach Gründung der Hansa Tonstudio
GmbH eröffnen Peter und Thomas
Meisel 1973 einen Aufnahmeraum in der
Nähe des Kurfürstendamms. Etwa zwei
Jahre später übernehmen sie das ehemalige
Sonopress Studio (Plattenfirma Ariola) am
heutigen Standort Köthener Straße und ma-
chen es zum Hansa Studio 2. 1976 schließ-
lich kaufen die Meisel-Brüder das gesamte,
durch den 2. Weltkrieg zum Teil noch schwer
zerstörte Gebäude und gestalten daraus
in den kommenden Jahren ein Musikpro-
Der Potsdamer Platz 1975. Die Hansa Studios
befinden sich rechts hinter der Ruine
duktions-Haus mit diversen Aufnahme- und
Regieräumen. Der frühere Standort in der
Nähe des Kurfüstendamms wird aufgegeben.
Anfang der 1990er Jahre entscheiden sich
die Meisels aufgrund des sinkenden Bedarfs
zum Rückbau, so wird das Hansa Studio 2
wieder in seinen Urzustand als „Meistersaal"
zurückrestauriert. Heute firmiert nur noch
das Studio 1
im vierten Stock als Hansa Stu-
dio. Gemeinsam mit den Emil Berliner Studios
im Erdgeschoss (ehemals Hansa Studio 3)
kann aber bei Bedarf der Meistersaal immer
noch für Aufnahmen genutzt werden. Zudem
beherbergt das Gebäude weitere eigenstän-
dige Studios und Produktionsfirmen.
man nur Mikrofone in der Nähe an, für
die lauten Teile zusätzlich das dritte mit
sehr viel Umgebungshall.
Zu Beginn der 90er Jahre erfolgte der
bereits erwähnte Rückbau der Studios.
Damals kamen weniger Aufträge aus der
Musikindustrie, wohl auch deshalb, weil
die Berlin-Hilfe des Bundes zurückge-
schraubt wurde: Bis dahin war das Stu-
dio direkt an der Mauer relativ preiswert
gewesen, gerade im Vergleich zur Kon-
kurrenz etwa in England. Zudem verlor
das Studio seine „Insellage“, die ruhiges
Arbeiten ermöglichte.
Spätestens die letzten drei Jahre geht es
aber wieder aufwärts, so dass sich inzwi-
schen in benachbarten Räumlichkeiten
zum Beispiel die Emil Berliner Studios
(siehe Story in STEREO 12/13) angesie-
delt haben. „Die nächs-
ten Monate sind wir
bis auf zwei, drei Tage
Spuren von Sex, Drugs &
Rock ,n' Roll? Das Sofa,
auf dem sich Bowie &
Co. fläzten, inspiriert die
Fantasie des Betrachters
O p tim ierter A ufnahm eraum
Im Meistersaal wiederum sind die Dinge
anders gelagert. Nach seiner Restau-
rierung Anfang der 90er Jahre in den
ursprünglichen Zustand hat der wieder
eine längere Nachhallzeit, weshalb er sich
seitdem eher für Klassikproduktionen eig-
net. Zu Zeiten von Bowie, U2 & Co. gab
es noch einen Vorhang zur Dämpfung, da
man bei Rockproduktionen ja gewöhnlich
den Raum kaum mit aufnimmt. Aber es
gibt prominente Ausnahmen von dieser
Regel. So experimentierte Robert Fripp
beim „Heroes“-Album mit Gitarren-
Feedbacks an unterschiedlichen Stel-
len des Meistersaals, und David Bowies
Gesang wurde von drei Mikrofonen in
unterschiedlicher Entfernung abgenom-
men (23 Zentimeter, sechs und 15 Meter).
Für die leisen Parts des Songs steuerte
komplett ausgebucht“, so Morcöl. Zudem
schlägt man aus seinem Ruf zunehmend
auch in anderer Form Kapital. „Es kom-
men extrem viel Touristen mit Rucksack
und Fotoapparat,
die unten klingeln,
um das Studio mal
das
nicht ginge,
verweist
er
auf
Eines DER
Studiomikrofone
überhaupt: Das
Neumann U 87
eben zu besich-
tigen“, erzählt er
schmunzelnd. Weil
geführte Touren (siehe Kasten): „Nach
dem letzten Depeche-Mode-Konzert in
Berlin waren es schon mal acht Gruppen
a 25 Leute“. Auch seien künftig Merchan-
dising-Artikel geplant, denn von der Aura
dieser einmaligen Institution der Rock-
geschichte würde wohl jeder gerne etwas
mitnehmen.
Andreas Kunz
2/2014 STEREO 37